Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar
Erklärung der deutschen Bischöfe
Beschluss der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am 22. Februar 2024
Deutschland durchlebt eine turbulente Zeit. Die Stimmung ist aufgewühlt und
die Gesellschaft polarisiert. Ein wachsender Teil der Bevölkerung lässt sich von
rechtsextremistischen oder rechtspopulistischen Bewegungen ansprechen. Im
rechtsextremen Milieu wird unter dem Schlagwort „Remigration“ darüber
diskutiert, Menschen mit Migrationshintergrund aus dem Land zu drängen. Dass
sich dagegen auf den deutschen Straßen eine lebhafte und starke
Protestbewegung Gehör verschafft, unterstützen wir Bischöfe ausdrücklich.
Wer aus demokratischem, freiheitlichem und menschenfreundlichem Geist
heraus seinen Widerstand gegen die Machenschaften der Rechtsextremisten
bekundet, verdient unser aller Unterstützung und Respekt. Gut, dass zahlreiche
Christinnen und Christen so engagiert mitwirken und sich für Menschenwürde,
Menschenrechte und Demokratie einsetzen!
Wir sehen mit großer Sorge, dass sich radikales Denken verstärkt und sogar zum
Hass auf Mitmenschen wird – vor allem aufgrund ihrer Religion, Herkunft oder
Hautfarbe, wegen des Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität. Im
Hintergrund dieser Entwicklung sehen wir die Vielzahl von Krisen, die
Deutschland und Europa seit Jahren erleben. Die Weltfinanzkrise des Jahres
2008 und die Euro-Schuldenkrise haben zu Verunsicherungen und auch zu
realen Verlusterfahrungen geführt. Die hohe Zahl von Geflüchteten, die seit
2015 nach Europa und vor allem nach Deutschland gekommen sind, hat bei
Vielen die Bereitschaft zum Engagement geweckt, bei nicht Wenigen aber
Gefühle der Überforderung erzeugt. Die Corona-Pandemie hat das Leben vieler
Menschen radikal verändert. Schließlich hat der Krieg gegen die Ukraine die
Annahme tiefgreifend erschüttert, dass der Friede in Europa auf festen Pfeilern
steht. Auch Terror und Krieg im Nahen Osten reihen sich in dieses
Krisenszenario ein. Zu alldem treten die großen Herausforderungen unserer
Zeit, wie der Klimawandel und die tiefgreifenden Veränderungen durch den
digitalen Fortschritt. Beunruhigung und Zukunftsangst nehmen zu. Die Vielzahl
der Krisen darf aber nicht zum Nährboden für die Erosion des zivilen
demokratischen Bewusstseins und für das Anschwellen extremistischer
Positionen werden.
Deutschland und Europa haben im 20. Jahrhundert den Aufstieg und Fall
mehrerer extremistischer Ideologien und Bewegungen erlebt. Deren katastrophale Folgen mahnen auch heute zur Wachsamkeit. Die Kirche weist deshalb alle
Formen des Extremismus mit Nachdruck zurück. Sie sind unverantwortliche Gefährdungen des
Gemeinwohls und der freiheitlichen Ordnung. Gegenwärtig stellt der Rechtsextremismus die
größte Bedrohung extremistischer Art für unser Land und für Europa dar.
Der Rechtsextremismus behauptet die Existenz von Völkern, die angeblich in ihrem „Wesen“
und in den kulturellen Lebensgestalten scharf von den anderen Völkern abgegrenzt werden
können. Man spricht von „natürlichen“ und „künstlichen“ Nationen. Das Volk ist für diese
Ideologie eine Abstammungs-, letztlich eine Blutsgemeinschaft. Das Zusammenleben von
Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft, religiöser Zugehörigkeit und kultureller
Prägung wird von diesem Denken deshalb prinzipiell infrage gestellt, wenn nicht gar verworfen.
Das Volk wird als „Ethnos“ gedacht, als Gemeinschaft der ethnisch und kulturell Gleichen oder
Ähnlichen. Dies ist die Ideologie des völkischen Nationalismus. Nach den Gräueln des
Nationalsozialismus versteht unser Grundgesetz das Volk hingegen aus gutem Grund als
„Demos“, d. h. als Gemeinschaft der Gleichberechtigen, die auf der Grundlage der Menschen und Bürgerrechte unsere Gesellschaft gemeinsam aufbauen und gestalten.
Rechtsextremistische Gesinnungen und Konzepte zielen fundamental auf Ab- und
Ausgrenzung. In diesem radikalisierten Denken wird die gleiche Würde aller Menschen
entweder geleugnet oder relativiert und somit zu einem für das politische Handeln irrelevanten
Konzept erklärt. Für die Kirche aber ist klar: Jeder Mensch besitzt eine unantastbare und
unverfügbare Würde. Sie gründet in der Gottebenbildlichkeit aller Menschen und ist die Basis
der Menschenrechte. So ist die Menschenwürde der Ausgangs- und Zielpunkt des christlichen
Menschenbildes. Dieses Denken hat auch in unserer Verfassung seinen Niederschlag gefunden.
In scharfer Abgrenzung zum Nationalsozialismus und zur Neuen Rechten bekennt sich das
Grundgesetz ausdrücklich zur fundamentalen, die staatliche Ordnung und das gesamte
gesellschaftliche Miteinander bestimmenden Bedeutung der Menschenwürde.
Die Konzentration auf das kulturell homogen gedachte eigene Volk geht notwendig einher mit
einer Verengung des Solidaritätsprinzips, das in der katholischen Soziallehre zentrale
Bedeutung hat und eine Leitidee der deutschen Verfassung darstellt. Rechtsextreme verlangen
nach einem „Sozialpatriotismus“, womit sie die Solidarität innerhalb des völkisch-national
verstandenen Volkes meinen. Wer diesem nicht angehört, soll weniger Rechte und weniger
soziale Teilhabe genießen, auch wenn er in Deutschland lebt und arbeitet. Damit wird die Axt
an die Wurzeln der Demokratie gelegt, die vom Gedanken der gleichen Rechte aller bestimmt
ist. Allen, die nicht der eigenen Gemeinschaft zugehören, wird Solidarität verweigert. Das gilt
für Schutzsuchende, die man generell nicht mehr ins Land lassen will. Und es gilt für die
Bedürftigen andernorts: Entwicklungszusammenarbeit mit armen Ländern wird deshalb ebenso
abgelehnt wie die Unterstützung von Staaten, die – wie die Ukraine – angegriffen werden und
um ihr Überleben ringen. Die Sicht der Kirche ist eine andere: Politisch, religiös oder rassistisch Verfolgte und
Kriegsflüchtlinge müssen in unserem Land auch weiterhin Aufnahme finden. Und: Der Begriff
des Gemeinwohls hat für die Kirche stets einen universalen Horizont. Daher treten wir für
multilaterale Zusammenarbeit und Solidarität ein – auf Ebene der Europäischen Union ebenso
wie weltweit.
Rechtsextremismus hat es in Deutschland und Europa auch nach dem Zweiten Weltkrieg
gegeben. In den vergangenen Jahren haben sich rechtsextreme Haltungen in der Gesellschaft
jedoch stark verbreitet, sie sind „sagbar“ geworden und gewinnen an Einfluss. Nach mehreren
Radikalisierungsschüben dominiert inzwischen vor allem in der Partei „Alternative für
Deutschland“ (AfD) eine völkisch-nationalistische Gesinnung. Die AfD changiert zwischen
einem echten Rechtsextremismus, den der Verfassungsschutz einigen Landesverbänden und
der Jugendorganisation der Partei attestiert, und einem Rechtspopulismus, der weniger radikal
und grundsätzlich daherkommt. Der Rechtspopulismus ist der schillernde Rand des
Rechtsextremismus, von dem er ideologisch aufgeladen wird. In beiden Fällen wird stereotypen
Ressentiments freie Bahn verschafft: gegen Geflüchtete und Migranten, gegen Muslime, gegen
die vermeintliche Verschwörung der sogenannten globalen Eliten, immer stärker auch wieder
gegen Jüdinnen und Juden.
Wir sagen mit aller Klarheit: Völkischer Nationalismus ist mit dem christlichen Gottes- und
Menschenbild unvereinbar. Rechtsextreme Parteien und solche, die am Rande dieser Ideologie
wuchern, können für Christinnen und Christen daher kein Ort ihrer politischen Betätigung sein
und sind auch nicht wählbar. Die Verbreitung rechtsextremer Parolen – dazu gehören
insbesondere Rassismus und Antisemitismus – ist überdies mit einem haupt- oder
ehrenamtlichen Dienst in der Kirche unvereinbar.
Wir appellieren an unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger, auch an jene, die unseren Glauben
nicht teilen, die politischen Angebote von Rechtsaußen abzulehnen und zurückzuweisen. Wer
in einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft leben will, kann in diesem Gedankengut
keine Heimat finden. Wer Parteien wählt, die mindestens in Teilen vom Verfassungsschutz als
„erwiesen rechtsextremistisch“ eingeschätzt werden, der stellt sich gegen die Grundwerte des
menschlichen Zusammenlebens und der Demokratie in unserem Land.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Das klare Votum gegen jede Form des
Rechtsextremismus bedeutet in keiner Weise, dass die Kirche sich dem Dialog mit jenen
Menschen entziehen wird, die für diese Ideologie empfänglich, aber gesprächswillig sind. Auch
radikale Thesen sollen diskutiert, sie müssen aber auch entlarvt werden. Klarer Widerspruch
gegen den Rechtsextremismus bedeutet ebenso wenig, dass existierende wirtschaftliche und
gesellschaftliche Probleme – etwa bei der Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit oder der
Integration von Migranten – kleingeredet oder ignoriert werden könnten. Sie müssen
angegangen werden. Alles andere würde den rechten Rand nur weiter nähren. Aber sämtliche
Lösungsansätze müssen dem humanitären Ethos entsprechen, das im Christentum vor- und mitgeprägt ist und das die Grundlagen unseres Staates und der Gesellschaft in Deutschland
definiert. Menschenwürde, Menschenrechte, besonders der Schutz des Lebens von seinem
Anfang bis zu seinem natürlichen Ende, sowie Solidarität sind dessen elementare Bestandteile.
Unter all diesen Werten und Prinzipien kommt der gleichen Würde aller Menschen eine
grundlegende Rolle zu. Ohne ein umfassendes Verständnis der Menschenwürde gibt es kein
freiheitliches und gerechtes Zusammenleben. Die Menschenwürde ist der Glutkern des
christlichen Menschenbildes und der Anker unserer Verfassungsordnung. Leisten wir alle
Widerstand, wenn Menschenwürde und Menschenrechte in Gefahr geraten! Engagieren wir uns
gemeinsam aktiv für die freiheitliche Demokratie!
Beschluss der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am 22. Februar 2024
Pressekontakt Stefanie Kastell Mitglied im Vorstand des SkF e.V. Hamburg Mail: s.kastell@sf-hamburg.de